Viva Las Vegas Rockabilly Weekender 2002
oder "Dekadent in Plastik - City"

Wo sucht man den wahren Rockabilly, wenn nicht in den Staaten? Das bei allem Respekt vor dieser Subkultur die amerikanische Wirklichkeit verstörend ist und es sich trotzdem lohnt, einen Trip nach Las Vegas zu wagen, erzählt uns Sören.

(am Ende des Artikels gibt es noch einen Haufen Bilder!)

Anreise über Frankfurt, ich musste einen Bekannten über Nacht mit meiner Anwesenheit belästigen (Alkohol), dann am Morgen ab nach Philadelphia mit 5 Stunden Stop - over. Am Flughafen wurde ich dann überaschenderweise beim Toilettengang mit einem angetrunkenen "Serrrvus...!" begrüßt, die Amberger und Münchner Fraktion war also auch schon eingetroffen, womit Süddeutschland schon fast komplett war (schon wieder Alkohol). Abends Weiterflug nach Las Vegas, das uns mit einer irrealen phantastischen glitzernden Skyline begrüßte. Der Anblick erlaubt mir die Behauptung: "Ich habe alles gesehen, jetzt kann ich sterben!" Kurze Orientierung und dann Weiterfahrt mit einem Taxi, dessen Fahrer uns erstmal gut abzockte, Ankunft in einem schmierigen 70`er Jahre Motel (dafür aber billig und übers Internet gebucht) besiegelten den ersten Tag. Leider bekamen mir wohl die ganzen Klimaanlagen und der Wetterwechsel nicht, denn ich fing an meine anrollende Grippe mit Grippostat, Aspirin und Paracetamol zu bekämpfen.
Erkundungen beim ersten Tageslicht ergaben, daß Las Vegas fast nur aus Plastik ist und selbst das Vogelgezwitscher fake ist und vom Band kommt. Die Wüste ist eigentlich, nach meiner Meinung, zu schade um so etwas zu bauen. Den Veranstaltungsort (Gold Coast Casino) konnte man nicht verfehlen da eine riesige Leuchtreklame den Weg wies und selbst den letzten Zweifler jedes Vorurteil abschütteln lies. Tom Ingram (Hemsby Organisator) hatte alles im Griff: der Record Hop lief und die ersten Bands rockten schon. Der Transfer von unserer Absteige erfolgte erst "per Pedes" aber USA ist nicht das Land der Fußgänger (Bürgersteige hören irgendwo an einem City - Highway im Nichts auf) und so entschieden wir uns den Bus zu nehmen der genau 10 mal billiger war als das Taxi.

nicht zu verfehlen!

Aber irgendwie fielen wir durch unsere Hautfarbe auf, die nicht in das Fahrgastschema passte, aber als aufgeklärte Europäer integriert man sich schnell. Das Flaschenbier war mit $2 relativ billig, entpuppte sich aber als Plörre und die Verbindung Paracetamol - Budweiser - Grippostat - Heineken - Aspirin - Jack Daniel´s machte mir sehr zu schaffen. Trotzdem wurde hart gefeiert und die Party rockte auf 4 Areas! Vintage- und Plattenbörse befanden sich in der Bingo Hall, der Konzertsaal bot beste Bandauslese, im Foyer gab es eine Art Talent - Show, an der jeder irgendwie teilnehmen durfte der genügend Promille und ein Lied vorweisen konnte! Eine angetrunkenen Studentin im 60´íes Look die Johnny Cash´s "Cocaine blues" schrill runterlallte, erntete durch mich tosenden Applaus, was aber wohl nicht die allgemeingültige Meinung war. Zusätzlich gab es noch eine "kleine Halle" (die "große" war über 2 Rolltreppen erreichbar!) mit Musik und eine originale Zockerhalle, die Ausmaße des Kölner Hauptbahnhof zu haben schien. Big Sandy höchstpersönlich moderierte die Veranstaltung und gab ein "A´capella solo" zum besten und erschütterte Mann und Weib mit klarer und durchdringender

Mister Coop "in persona" gab Audienz! Was für ein Moment der Besinnung! Das neue Coop Buch gab es signiert schon für nur $40...

Stimme. Robs Chop Shop war, wie immer, auf der Höhe der Veranstaltung und es gab Kustom Haarschnitte der besonderen Marke: "Flat top boogie", "Butch", "Flat top", "Crew" und "Regular contour" was mich sehr erfreute und mich zu einer Plauderminute hinreißen ließ, Fachmänner unter sich! Motto: Sleaze & Grease haircuts. Als ich so glücklich durch die Hallen schlich musste ich doch am Samstag 2 mal hinschauen: Mister COOP "in persona" gab Audienz! Was für ein Moment der Besinnung! Sein neues Buch gab es schon für $40. Beim Rumschlendern machte ich die Bekanntschaft mit Minderheiten wie 2 Skinheads aus Los Angeles, die meine Herkunft andächtig mit der Aussage: "We love Rammmstein!" untermauerten, "Böhse Onkelz" kannten sie zum Glück nicht und "Oi" war ein eher verschwommener Begriff. Allerdings konnten meine dilettantischen Kenntnisse in Sachen Ska und Rocksteady aufgefrischt werden. Eine weitere bunte Minderheit waren so circa 8 Psychobillys aus Reno, San Francisco und Los Angeles die ich irgendwie aufklärte das The Meteors sich aufgelöst haben (Dramen spielten sich vor meinen Augen ab) und Mad Sin und Demented Are Go nicht mit "U2" vor 30.000 Zuschauern spielen. Eine Welt brach für mich zusammen, als ich fragte, von wem die "Wreckin´Crew" T-Shirts seien und die stolze Antwort kam: "Selber gemacht!". Nach Erklärung des Sachverhalts und der Aufschlüsselung von Crew - Strukturen in Deutschland und Europa wurden diese dann nochmals überdacht, man geht ja schließlich auch nicht mit selbstgemachten Hells Angels Shirts auf eine Biker Veranstaltung. "The Stillmen", "The Nu-Niles" und die "Bellfuries" waren 3 von 20 Bands die sofort überzeugten. Eine farbige Doo Wop Kombo ("The Extraordinaires") am Samstag machten musikalisch absolut Furore und ließen Redneks und Rodeo - Typen glücklich in die Arme schließen.

Einer der wenigen Fahrzeuge die ein bisschen Chrom aufweisen konnten. Credo: Chrom sucks!

Die Lokalmatadore "Smokestack Lightnin´" aus Nürnberg rockten den Sonntag runter und machten sich dann zu Ihrer California Tour auf. Die Hot Rod Car Show der "Shifters" am Samstag Nachmittag auf einem Park - Deck nebenan ließ mich leicht verstört, angetrunken, mit Sonnenstich aber glücklich über mein Leben nachdenken ("Was währe wenn es kein TÜV gäbe?"). Sonne, 28 Grad C, Dosenbier aus der Wanne mit Eiswürfeln, eine Latino Rockabilly Band aus Tijuana (MEX) und die übliche Dosis Paracetamol - Budweiser - Grippostat - Heineken machten den Lärm der angereisten Hot Rods und Greaser erträglich. Moon Equipment erschütterte mit seinem original Dragstar und einen Stand, es war wie ein Altar der Dreifaltigkeit: T-Shirts, Aufkleber und Zubehör, Amen! Viele Bekannte und unbekannte Fahrzeuge machten das Ganze zu einer Lehrveranstaltung die seinesgleichen sucht. Der "Red Baron" Hot Rod, bekannt aus vielen Fachzeitschriften, war der absolute Knaller und überzeugte durch akustische Randale. Allgemein erzeugte Auspuffzubehör, so groß wie Kanonenrohre, bei den TÜV gewohnten Zuschauern erschüttertes Staunen. Mattes schwarz, matte rote Flammen, Scallops, Pin Striping, gechoppte Dächer zum rausglotzen, Moon Caps, kaum Chrom, Postkästen als Vergaser, Bierfässer als Tank, NOS Anlagen und eiserne Kreuze als Rückspiegel gehörten zum guten Ton der Veranstaltung.

Spinnennetz am Ellenbogen, Schwalbe am Hals und Hufeisen auf dem Handrücken: potentielle Schwiegersöhne!

Weibliche Rodders waren nicht selten und überzeugten mit standesgemäßen Auftritt. Überhaupt scheinen alle Rodders jedes denkbare Wort mit K schreiben zu wollen (Kustom, Kar) und eiserne Kreuze sind wohl modisches Zubehör das nicht fehlen darf. Eisernes Kreuz überhaupt wofür? Wahrscheinlich für die lauteste Anreise! Viele Latino Gangs und Hot Rod Clubs waren unterwegs; "King's nuthing" (L.A.),"Choppers" (Burbank), "Rodders" (Arizona), "Tiki Boys" (N.Y.C.), "Rumblers" (L.A.), "Timeless cruisers" (Arizona), "Rattlers" (Phonix), "Hard luck" (Texas) und "Road Rockers" (Indianapolis) nur um einige zu nennen. Auch der "Speed Breed" SC aus Nürnberg gab sich mit mir als Repräsentant die Ehre. Was Tattoos anging, überzeugte das Publikum mit Spinnennetz am Ellenbogen, Schwalbe am Hals und Hufeisen auf dem Handrücken, alles potentielle Schwiegersöhne da die weibliche Fraktion auch vor keiner bildlichen Schandtat zurückschreckte. Eine alte Harley mit der Aufschrift "Übermensch" gab mir dann

Strip

den Rest, allerdings konnte ich den Besitzer leider nicht ausfindig machen und zur Rede stellen, zur allgemeinen Erleichterung meiner Begleiterin. Über 3000 Besucher, darunter ca. 200 Europäer, davon ca. 20 Deutsche, machten die Veranstaltung zu einem bunten Treiben und einem babylonischen Sprachengewirr. Tagsüber wurde die Zeit missbraucht um Las Vegas zu erkunden und nachts wurde bis zum Morgengrauen dezent abgerockt. Wer eine Bäckerei, einen Metzger oder ein frisches Bier vom Fass nach europäischen Standard suchte, hatte Pech gehabt. Dafür gab es Burger zum selber belegen so groß wie Handbälle, die aber auf die Dauer auch nicht glücklich machten. Auffallend war die große Anzahl von "Latinos" die mit sämtlichen Putzdiensten in der Stadt betraut sind und die Nähe zu Mexiko erahnen lassen, die es aber wohl in der sozialen Hierarchie eher schwer haben. Auch das Handwerkertum lässt zu wünschen übrig: jeder Geselle würde von der Berufsschule fliegen wenn er eine Wasser- oder Elektroinstallationsarbeit so abliefern würde wie es dort Standard zu sein scheint. Als positiv empfand ich allerdings die Scheißhauskultur, abgesehen davon, daß man überall Softdrinks unaufgefordert kostenlos bis zum platzen nachgefüllt bekommt. Die Örtlichkeiten unterscheiden sich von unseren darin, das man immer, egal wo man ist, 3 Rollen Toilettenpapier zur Auswahl hat (soft, super soft und mega soft) und am Waschbecken immer warme, feuchte und saubere

Viele Latino Gangs und Hot Rod Clubs waren unterwegs: "King´s nuthing" (L.A.), "Choppers" (Burbank), "Rodders" (Arizona), "Tiki Boys" (NY), "Rumblers" (LA), "Timeless Cruisers" (Arizona), "Orange County"

Waschlappen zum einmaligen Gebrauch bereitliegen. Allerdings habe ich das Kriterium nicht verstanden, nach dem geraucht und Alkohol getrunken werden darf. Mehrmals machten mich Cops und Security Officer (von der Bewaffnung das Gleiche) auf irgendetwas aufmerksam, das ich nach europäischen Verhaltensmuster nicht ganz für voll nehmen konnte. Schilder wie: "No alcohol behind this line" blieben mir ein Rätsel und das Abschlagen von Harnstoff in der Öffentlichkeit konnte ich nur unter Androhung von Abschiebehaft nach Mexiko unterdrücken.

Fazit: Coole Veranstaltung, die man unbedingt mal besuchen sollte, um zu staunen. Allerdings in Gesprächen mit lokalen "Größen" musste ich feststellen, daß die US - amerikanische Ignoranz nur noch durch ihre Arroganz übertroffen wird und mich erschüttert nach "good old Germany" zurückreisen lässt! God bless Europe!

Sören

...und hier gibt es noch haufenweise Bilder aus Las Vegas!