The Special Guests

"Toxic Ska" ist eine der Wortschöpfungen, die einem die Einzigartigkeit einer Band verdeutlichen sollen. Wie einzigartig die Special Guests aus Berlin sind, klärt Flo für uns.

The Special Guests: Release Party
Am Schönsten ist es doch, wenn alte Bekannte noch überraschen können. Sieben Jahre nach Bandgründung und vier Jahre nach dem Debüt "Specialized" und zwei Jahre nach dem Folgealbum "Can't Stand Sitting" legen die Berliner Special Guests ihr neues Album "Toxic Sweet Love" vor und zeigen sich so stil-, geschmacks- und selbstsicher wie ich es zuletzt bei den BUTLERS festgestellt habe. Willkommen in der Champions League des Ska. Zur Record Release Party am 16.November in der Berliner Kulturbrauerei saßen wir mit Leon (Gesang & Querflöte), Lukas (Schlagwerk) und Henning (Posaune) zusammen.

Die neue Platte kann schon durch ihre Professionalität in jeder Hinsicht überzeugen. Das Digipack ist schick, das Booklet enthält alle Texte, die Platte ist fein produziert. "Wir haben uns diesmal einfach gründlicher vorbereitet", erläutert Lukas, "wir haben im Vorfeld schon arrangiert und überlegt, was wir im Studio wie machen wollen. Eigentlich ist das jetzt unser erstes echtes Studioalbum, wir haben beispielsweise drei, vier Gitarrenspuren pro Lied, das haben wir vorher nie gemacht. Wir haben im Proberaum eine Vorproduktion am Rechner gemacht, daß jeder die Lieder vorher hören konnte und dann haben wir noch gemeinsam Veränderungen an den Arrangements gemacht. Ich habe das Gefühl, dass es diesmal mehr aus einem Guss ist."

Man merkt, dass die Band sich inzwischen aus den Knochen von Ska, Reggae und Rocksteady ihren eigenen Stil geschnitzt hat. Auch die Umbesetzungen konnten daran zuletzt nichts ändern. "In der jetzigen Besetzung sind wir seit April zusammen, die Aufnahmen für die ‚Toxic' haben wir aber schon im März und noch mit Kristof und Thomas gemacht." Auf die Frage, was sich durch die neuen Leute verändert hat, sagt Leon: "Ich finde, dass es viel geradliniger geworden ist, auf die Musik orientiert. Früher waren wir halt Freunde, die ne Band hatten und jetzt trifft man sich hauptsächlich beim Proben." Lukas: "Es kommen neue Menschen rein, neue Geschmäcker. Unsere Stücke sind immer ein Gesamtprodukt der ganzen Band, am Anfang haben wir halt ne Akkordfolge oder ne Melodie und dann arbeiten wir das zusammen aus. Aber der Songschreiberkreis ist schon der Alte geblieben, da hat sich durch die neuen Leute noch nicht so viel geändert." Henning, als halb-neues Mitglied der Band, findet das auch gut so. "Ich wollte bisher auch noch kein Lied schreiben, ich glaube nicht, dass ich das könnte." Und Lukas ergänzt: "Es ist ja auch nicht so, dass wir die dann gleich abweisen würden. Wir würden uns das erstmal anhören und die Ideen dann ganz kollegial-subtil zurückweisen."

Mit dem Plattentitel ‚Toxic Sweet Love'will die Band eine neue Ska-Richtung auf den Markt werfen: Toxic Ska. "Das ist ne Schöpfung von Henning!" ruft Lukas und Henning versucht sich zu rechtfertigen: "Toxic Ska ist zunächst mal nicht einzuordnen und ganz neu. Es geht uns dabei um die toxische Wirkung unserer Musik, die schleichend den ganzen Körper des Publikums befällt. Geh ich zu anderen Konzerten erlebe ich so etwas nie, das gibt es nur bei Ska-Konzerten, alle tanzen, alle sind locker und lustig." Das liebevolle Layout voller verliebter, toter Fische soll die Bedeutung dieser neuen Musikrichtung symbolisch unterstreichen. Auf dem Konzert wurden stilecht tote Fische ins Publikum geworfen. Lukas vermittelt uns dann noch die marktwirtschaftliche Komponente: "Wir wollten auch in Zeiten, in denen man CDs einfach mal so brennt, einen Kaufreiz schaffen, mit allen Texten und Digipack und eben einem schönen Layout." Anzumerken bleibt mir, dass sich dieser Kaufreiz leider nicht bis zur LP durchzieht, denn die muss ohne Klappcover und erstmals auch ohne Textblatt auskommen - zu teuer.

The Special Guests, in der Presseversion

Die musikalische Adoleszenzkrise der "Can't Stand Sitting" ist für die Special Guests abgeschlossen. Zwar finden weiter Experimente mit anderen Stilen statt, Radio Multi-Kulti hatte sogar die Bezeichnung ‚World Ska' parat, aber nun müssen sich die anderen Stile wieder klarer unterordnen. Schon der instrumentale Opener "Osaka" zeigt, wohin die Reise geht. Das die Special Guests schon immer eine bläserdominierte Band waren, zeigt sich hier von der positivsten Seite. Musikalisch haben die Spezialgäste mehr als genug Material und sich in mehrfacher Hinsicht nicht nur einfach verbessert, sondern einen Quantensprung gemacht. "Toxic Sweet Love" zeigt sich so verspielt und lebensfroh, überraschend und einfallsreich wie die "Specialized", kann das aber mit der gewachsenen Erfahrung und den verbesserten musikalischen Fähigkeiten der Musikanten verbinden. In der Addition ergibt das ein Hammeralbum!

Bei ‚Nothing Else' präsentieren sie uns perfekten Herzschmerz-Reggae wie ihn Ken Boothe zu seiner besten Zeit gemacht hat. Hier sitzt der zuckersüße Frauen-Background so präzise und das Saxophon-Solo fällt so herzzerreißend aus, dass der Hörer alle Nebentätigkeiten unterbricht und an seine Liebste denken muss, insofern vorhanden. Mit ‚School Girl' zollt man dem Pussy-Ska eines Judge Dread oder frühen Lee Perry Respekt. "Mir wurde ja auch schon gesagt, der Text sei sehr pubertär", sagt Leon, der für alle Texte der Band zuständig ist. Das überrascht uns, geht es in dem Lied doch lediglich um ein Schulmädchen über 18, die von ihrem Lehrer bei den Hausarbeiten betreut wird. "Wir könnten natürlich behaupten, ja, das war ja Konzept und wir haben das ganze Stück schon lange so geplant" gesteht Lukas, "aber eigentlich hatten wir zuerst die Musik und dann kam irgendwann die Idee mit diesem Text." "Wir verändern den Text live auch ständig", ergänzt Leon, "schon alleine, weil die Rolle des Schulmädchens live von unserem Trompeter Felge übernommen wird." Eine Live-Performance zu diesem Stück wurde von uns während des Gesprächs angeregt und fand bei allen Anwesenden großen Anklang.

Auch sonst ist die Rolle der Frauen für die Special Guests klar definiert: als Studio-Background wurden sie schon bei der "Can't Stand Sitting" eingesetzt, aber als feste Bandmitglieder ist es nicht machbar. "Kristof hat das so nett gesagt: es gibt der Musik mehr Sex", stellt Lukas fest. "Das ist fürs Studio super und gibt den Alben natürlich ganz viel. Aber wir sind schon neun Leute in der Band und das ist so etwas wie das organisatorisch machbare Maximum. Wir wollen ja neben der ganzen Organisation auch noch ein wenig Musik machen!" Dass den Liedern bei den Auftritten dann etwas fehlt, wird lakonisch mit einem "Man kann nicht alles haben" akzeptiert. Das wunderschöne Duett ‚Fallen' kommt live leider nicht oft zum Einsatz und wenn, dann muss es Leon alleine singen.

The Special Guests live

Leon schreibt noch stets alle Texte der Special Guests. Auffällig an den Berliner ist auch, dass man sich zwar in den eigenen Texten eine klare politische Aussage verweigert, aber bei jedem ersten Mai oder im Mauerpark zur Fête de la Musique auftritt und mindestens ‚If The Kids Are United', oft aber auch ‚Der Kampf geht weiter' (Slime) spielt. "Wir wollen unsere Aussage einfach dadurch klar stellen", erklärt Lukas, "wo oder wann wir auftreten. Wir spielen ja auch immer mal Antifa-Solis und dadurch sollte unser politischer Standpunkt klar sein. Politische Aussagen muss man nicht unbedingt mit Songs machen. Wir sind eine Band, die mehr, na ja, ich will ja nicht sagen Popmusik macht, aber in Jamaika früher waren die Inhalte auch Frauen, Liebe, Sich-Scheiße-Fühlen, also textlich eben eher Pop." "Ich würde das auch nicht ausschließen, dass wir mal ein politisches Lied schreiben", sagt Leon, "Bei ‚No Place To Hide' auf der ‚Can't Stand Sitting' ist die Aussage schon politisch, aber sehr subtil. Es ist ja so, dass die Band meist mit einem fertigen Stück ankommt und dann muss ich da einen Text zu schreiben. Da hat sich ein politischer Text bisher noch nicht aufgedrängt." Lukas wird dann noch mal deutlicher, indem er klar stellt, dass bis dahin "If The Kids..." die Konsensaussage der Band darstellt.

Am Schluß der CD hat die Band dann, wie es ja leider viele tun, einen Song versteckt. Das muss aber auch so sein, denn es handelt sich um eine Version des Stücks "Tal Vez" von der "Can't Stand Sitting". "Das hatten wir mal aufgenommen mit dem neuen Text von Howard Carpendale", erläutert Lukas. Es ist sozusagen kein ‚echter' Bestandteil der Platte. Und dann erzählt Leon: "Das war so: Da saßen wir nämlich im Studio und wollten diese Version aufnehmen, wussten aber den richtigen Text nicht. Also hab ich bei meiner Oma angerufen, die ist voll der Howi-Fan. Und hab ihr gesagt, hier Omi, das Lied, da musst Du mal den Text raushören, ruf mich mal zurück. Aber sie hat den Text nicht richtig verstanden und hat dann den Telefonhörer an die Box gehalten, das hat so viel Mühe gemacht alles, das musste einfach mal veröffentlicht werden. Ich möchte hier auch meine Oma grüssen."

Die Special Guests leben offensichtlich in stabilen Verhältnissen, musikalisch und familiär. Sieben Jahre sind sie jetzt alt und zehn Jahre sollen es mindestens werden. Zum Zehnjährigen wäre dann auch mal Zeit für eine Live-Platte, laut Lukas, aber im Augenblick genießt man die Aussicht, die sich vom erklommenen Gipfel bietet. "Wir wollen einfach weiter so viel Spaß haben, wie bisher", wünscht sich Leon zum Schluss. Und das sei ihnen aus vollem Herzen gegönnt.

Astrid & flo