So weit die Füsse tragen - Teil 3


Hotte, der King of Vorstadt, erlebt Skurriles bis Alltägliches in einer Nacht voller Hindernisse.
Onkel Meias Alter Ego kämpft sich durch den Wahnsinn einer entfremdeten Welt...

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Der Weg führte zwar nach einigem designtechnischen Vorgeplänkel durch tiefliegende Häuserschluchten, dies war erwartet und die Umgebung kein Grund für dumpfe Vorahnungen, aber der Zustand der Straße überraschte ihn. Der Bürgersteig war übersät von herumliegenden Gegenständen: an den Seiten türmten sich wahre Schuttberge teils mannshoch, ihre chaotische Vielfalt und die erkennbare Planlosigkeit bei der Zusammenstellung erinnerte an spontan errichtete Barrikaden. Einige dieser Müllberge waren zerrupft und durchwühlt, ihr Inhalt auf viele Quadratmeter verteilt. Teddybären, denen der Kopf fehlte, reihten sich an verrostete Heizkörper. Eigentlich war fast jedes vorstellbare Artefakt vorhanden, förmlich erschlagend die Vielfalt der Dinge. Hotte schloss, dass am nächsten Tag die Müllabfuhr kommen und den als Sperrmüll titulierten Unrat beseitigen sollte. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn die Straßenlaternen durch brennende Mülltonnen ersetzt worden wären, die mit ihrem flackernden Licht die Gespenstigkeit der Umgebung noch unterstreichen könnten, aber er wurde hinsichtlich dieser Überlegung enttäuscht.

Die neuen Eindrücke weckten eine lang zurückliegende Erinnerung in ihm. Vor vielen Jahren bewohnte seine damalige Freundin jenes Viertel, residierte in einem der Hochhäuser. Als sie des Nachts einmal zusammen auf dem Weg zu ihrer Wohnung waren, dabei flüchten mussten, da sie wie so oft von der Polizei verfolgt wurden, deren Aufmerksamkeit sie weckten, beschlossen sie wortlos auf das Gelände zwischen den einzelnen Häusern auszuweichen. Dieses Umfeld war für einen ungewohnten Betrachter aufgrund der Vielzahl und Ähnlichkeit der Häuser sehr verwirrend und die Dunkelheit förderte fehlende Ortskenntnis noch. Leider kannten die Beamten sich aus, ließen sich nicht täuschen. Hotte wurde als erster gestellt, durchsucht und musste sich einige Beleidungen anhören. Er rechnete im Geist schon mit einer Festnahme und der kargen Umgebung einer Aufbewahrungszelle. Eigentlich hatte er an ein komfortableres Ende des Abends gedacht, an mehr zur freien Verfügung stehende Dinge, und die Aussicht auf eine temporäres Eremitendasein schreckte ihn.

Seine Freundin hatte ein an einer Häuserwand liegendes Gebüsch als Versteck gewählt, entzog sich dadurch den spähenden Blicken. Eigentlich ein erfolgversprechendes Unterfangen, hätte sie sich nicht zu stark bewegt und ein raschelndes Geräusch erzeugt. Während Hotte durchsucht wurde, weckte das Rascheln ordnungshüterischen Argwohn, er hörte wie sie lautstark aufgefordert wurde, ihr Gebüsch zu verlassen, was sie auch lachend tat. Ihm kam die gesamte Szenerie etwas absurd vor, wie aus einem britischen, satirischen Film, er rechnete jeden Moment damit, dass die Polizisten ihre Waffen ziehen und unkontrolliert waagerechte Warnschüsse zwecks billigend in Kauf genommener vorläufiger Erschießung abgeben würden, aber auch hierzu entwickelte es sich nicht. Wie immer spielte ihm seine Phantasie einen Streich, die schlimmstmögliche Entwicklung die anzunehmen war, wurde gezeigt und die Realität war weitaus weniger dramatisch.

Da die Durchsuchung keine belastenden Gegenstände zu Tage brachte und ein kurzer Rückruf an die Einsatzzentrale keine Hinweise auf einen Fahndungswunsch erbrachte, konnten sie nach einem auf das Nötigste beschränkten Wortwechsel, gespickt mit Erklärungen, unbehelligt weiterziehen. Hotte war dies recht, er wollte nicht unbedingt in der Zeitung erwähnt werden, eine Beendigung seiner Existenz nebst einer Huldigung in einer Randnotiz innerhalb der nächsten Tage erschien ihm als nicht erstrebenswert….

Hotte grinste angesichts dieser Erinnerung, und da die Beamten unterließen seine Freundin zu durchsuchen, die im Innern der Jacke eine großkalibrige Gaspistole verbarg, welche schnell mit einer scharfen Waffe verwechselt werden konnte, glaubte er bei jenem vergessen geglaubten Ereignis etwas Glück gehabt zu haben. Dank der Ablenkung durch Gedankenschwelgerei hatte er seine gewählte Abkürzung schneller und unbewusster durchschritten, als er vorher annahm, fand sich auf der Hauptstraße - seinem Ziel deutlich näher - wieder. Er freute sich, einen Großteil des Weges bereits hinter sich und trotz einiger Störungen unbeschadet überstanden zu haben, sah sich im Geist bereits schlafend, entledigt eines Großteils seiner Bekleidung und nach dem Genuss einer Belohnungszigarette.

Erneut erschien zu seiner rechten eine Bushaltestelle. Sie ähnelte zwar der ersten wie ein Ei dem anderen, aber die augenscheinliche Änderung der Umgebung belegte, dass es sich um einen anderen Haltepunkt handeln musste, obwohl die Rückwand auch von einem überdimensionalen Abbild der Joghurtjubler geziert wurde. Aber noch ein Unterschied fiel auf: Die Sitzfläche der Bank belegte ein ungeöffneter Joghurtbecher, offenbar die Hinterlassenschaft eines besonders ungeduldigen oder vergesslichen Fahrgastes.

Beim Anblick des Bildes stieg wieder Wut in Hotte auf, und er griff ohne viel Nachzudenken zum Becher. Das Gewicht desselben bestätigte seine Vermutung, dass ein wohl gefülltes Behältnis in seiner Hand lag. Er verzichtete darauf dessen Marke und Geschmacksrichtung mit dem auf dem Bild gezeigten Produkt zu vergleichen und schleuderte den Becher in Richtung eines zähnebleckenden Gesichts. Der Aufprall erzeugte ein leises, aber in der Stille der Nacht umso besser zu hörendes Geräusch, der Becher platzte und dessen Inhalt verteilte sich auf der aus durchsichtigem Plastik bestehenden Rückwand der Haltestelle. Eine zähflüssige, weißliche Masse lief über das grinsende Gesicht, die Farbgebung des Joghurts unterstützte seine Vermutung betreff der Geschmacksrichtung, die er irgendwo in der breiten Palette zwischen Fruchtgeschmack und Neutralität einordnete, aber er unterließ es diese genau festzustellen. Vom Großteil des Inhalts hatten sich einige kleinere Mengen gelöst, bildeten in einem Meter Umkreis bizarre Flecken oder rannen tropfenförmig herab, eine Spur hinter sich herziehend wie die Schleimspur einer Schnecke. Auf dem Photo lächelte ein mit einem Joghurtüberzug benetzter Mann erquickt und Hotte verließ gutgelaunt die Stätte seines Wirkens, tief überzeugt, dass das Bild nun viel besser aussähe und reeller wirkte...

The Meia

to be continued...