So weit die Füsse tragen - Teil 2


Hotte, der King of Vorstadt, erlebt Skurriles bis Alltägliches in einer Nacht voller Hindernisse.
Onkel Meias Alter Ego kämpft sich durch den Wahnsinn einer entfremdeten Welt...

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Der erste Versuch sich Aufzurichten misslang, die Stacheln malträtierten seine Beine und nahmen ihnen die Bewegungsfreiheit. Hotte versuchte sich zu befreien indem er nur seinen Oberkörper einsetzte, aber dieses gelang nicht, da zu wenig Muskeln an der Aufgabe beteiligt waren, außerdem schien der Alkohol seine Bewegungen zu erschweren. Also musste etwas anderes ersonnen werden. Bei einem erneuten Versuch gelang es ihm, seine Beine aus der folternden Umklammerung zu befreien, er positionierte sich seitwärts zu der Laufrichtung der Hecke, stemmte sich in den Boden um dem Drang herabzurollen etwas entgegenzusetzen, und richtete sich auf, was deutlich leichter ging, wenn er den gesamten Körper dazu einsetzen konnte. Aus der Distanz eines erhobenen Körpers, dessen wichtigste Sinnesorgane sich am oberen, dem Himmel zugeneigten, Ende befanden, betrachtete Hotte die bösartige Hecke und die dahinterliegende Falle. In dieser Stellung wirkte sie weniger bedrohlich, so sein Urteil, das ganze Ausmaß ihres Schreckens konnte sie erst offenbaren, wenn man sich in liegender Haltung befand.

Sofort verließ er diesen Ort der Niederlage, stieg mit einem Schritt über die Hecke, wählte ohne nachzudenken die richtige Richtung und setzte seinen Weg fort. Zwar spürte er noch sporadische Stiche an den Beinen, die auf abgebrochene Dornen zurückzuführen waren, aber er beschloss eine Lösung des Problems auf den nächsten Tag zu verschieben, sich dann darum zu kümmern.

Interessanterweise spielte die Uhrzeit bei der genauen Definition von Beginn und Ende eines Tages keine Rolle für ihn, ein Tag fing für ihn nach ausgiebigen Schlaf an und es war reiner Zufall, dass das Erwachen immer zum Zeitpunkt der Helligkeit erfolgte. Nur bei Terminen wie zum Beispiel Arbeitsbeginn kamen Hilfsmittel wie Uhr oder Kalender zum Einsatz, Privat pflegte er sich nur in Ausnahmefällen und sehr rudimentär diesen Vorschriften zu beugen.

An der nächsten Abzweigung näherte sich ihm wieder die Hauptverkehrsstraße, deren zeitweilige Benutzung für diesen Wegabschnitt die kürzeste Dauer versprach. Er wählte diesen Weg, wünschte sich schon ausgestreckt in seinem heimischen Bett und wusste gleichzeitig, dass noch ein Großteil des Weges vor ihm lag. Auch registrierte er mit Freude, dass der plötzliche Schreck die Wirkung des Alkohols reduziert hatte, das störende Torkeln war verschwunden, er fühlte sich zwar immer noch berauscht und voller Tatendrang, aber sein Schritt war sicherer und deutlich zielstrebiger geworden.

Auch hier war er allein, kein Mensch bevölkerte den Gehweg und kein fahrendes Automobil sorgte für etwas Abwechslung. Lediglich einige Ampeln blinkten sinnlos vor sich hin, wechselten die angezeigten Farben, gaben den Weg für einen nicht vorhandenen Verkehrsstrom frei und zeigten ein von der Uhrzeit und Realität unbeeindrucktes Verhalten. Die neue Umgebung und die menschenleere Straße beflügelten seinen Gang derart, dass er seines Erachtens nach schneller voran kam. Die Häuserwände flogen förmlich vorbei und wilde Freude auf sein Ziel und ein wenig Ruhe erfüllten ihn. Er achtete nicht auf einige zerknüllte Bierdosen, die geleert am Fuße eines Hauses abgestellt waren, auch ignorierte er die unzähligen zertretenen Zigaretten auf dem Trottoir und die Gedanken an streunende Katzen, die seinen Weg kreuzten.

Plötzlich tauchte eine Bushaltestelle zu seiner Rechten auf, auch sie war menschenleer und im Schlaf des Vergessens versunken, aber dafür erweckte ein beleuchtetes Werbeplakat auf der Hauptwand seine Aufmerksamkeit. Es zeigte ein Farbphoto von jungen, gutaussehenden und teuer gekleideten Menschen, die sich in einer blitzsauberen Küche befanden und sich augenscheinlich mächtig freuten, dass ein Erdbeer-Joghurt vor ihnen abgestellt war. Auffallend war die Diskrepanz zwischen der Anzahl der Anwesenden und dem Joghurt, das Verhältnis betrug drei zu eins, abgesehen davon, dass ein einziger Joghurt zu wenig für eine Person war, hätten diese, entsprechender Hunger aller Anwesenden vorausgesetzt, höchstens die Chance auf faire Teilung der Nahrung oder eine Balgerei um selbige.

Ebenso wirklichkeitsfremd waren die blitzenden, von keinem Makel entstellten Gebisse der Protagonisten. Sie erschienen künstlich, erinnerten an den Zahnschutz von Boxern, zeugten von einer unmenschlichen, zeitraubenden und aufopferungsvollen Pflege, wirkten wie rückwärtig angestrahlt und extra beleuchtet. Hotte dachte an seine eigenen Zahnstumpen, an all die ruinösen Gebisse die er schon gesehen hatte und daran, dass ihm noch kein Mensch ohne eine noch so winzig kleine Plombe begegnet war. Deswegen glaubte er ein Traumbild vor sich zu haben, eine Wunschvorstellung, eine Momentaufnahme aus einer anderen Welt, und diese Erkenntnis erfüllte ihn mit Wut. Wenn die Realität absichtlich verdreht wurde um diese den eigenen Vorstellungen anzupassen, weckte das Trauer in ihm, Trauer die rasch in Wut umschlug. Die leicht dahinter erkennbare Absicht nährte die Vorstellung einer Lüge, und Hotte, dem Ehrlichkeit ein Ideal war, wurde sofort wütend, wenn er Lüge erkannte, zumal sie noch offensichtlich mit dem Versuch gekoppelt war, sein Denken manipulieren zu wollen.

Doch ähnlich schnell wie sie gekommen war, verflog seine Wut auch wieder, denn die Gedanken wurden durch die Wahrnehmung einer neuen Tatsache abgelenkt, mit einem weiteren Problem beschäftigt. In hundert Metern Entfernung machte die Straße einen Knick, wählte eine Richtung, die entgegengesetzt seiner Zielrichtung lag und führte zu einem anderen Stadtteil. Diese Entwicklung kam nicht überraschend, wurde sie doch durch seine Erinnerung belegt, und da ein Stadtrundgang nicht in seinem Sinn lag, er auf Besichtigungstouren verzichten konnte und nur so schnell wie nur möglich nach Hause wollte, hatte er sich während seines Marsches schon eine Alternative überlegt. Vor der Kurve bog er seitlich ab, erneut in ein Wohngebiet mit deutlich höheren Häusern, er wusste, dass dessen Durchquerung eine Abkürzung darstellte, und er später wieder auf die hell erleuchtete Hauptstraße treffen würde. Seine Schritte folgten dem vorher ersonnen Weg, die Umgebung änderte sich schlagartig...

The Meia

to be continued...