Die Jüngeren

Alex vom Savage Tunes über "Die Jüngeren - Mitschnitte aus dem Leben der 13- bis 30-jährigen" von Britta Mischer

Wer, wie ich, ein arrogantes und extrem intolerantes Arschloch ist, der hat so gut wie nie die Gelegenheit andere Menschen mit ihren individuellen Eigenheiten wahrzunehmen. Ich habe keine Lust mich mit Poppern, Hip-Hoppern, Hippies oder ähnlichem zu unterhalten. Warum ? 90% ist eh nur belangloser Datenmüll.
Ganz schwierig wird es natürlich, wenn Leute einem ein Gespräch aufdrängeln wollen. Da bleiben dann eigentlich nur 2 Möglichkeiten. Entweder man fügt sich in sein Schicksal und erträgt es still leidend mit Fassung. Dabei versucht man dann alles, dass möglichst nichts von der Laberei in seinen Gehirnwindungen hängen bleibt. Die einzige notwendige Aufmerksamkeit für ein solches Gespräch ist lediglich darauf zu beschränken an den richtigen Stellen "ja", "nein" oder "vielleicht" sagen zu können. In diese Verlegenheit komme ich eigentlich nur dann wenn es aufgrund äußerer Zwänge gar nicht anders geht, wie z.B. auf der Arbeit oder in anderen öffentlichen Plätzen, wo Gewalt als Mittel der Kommunikation nicht so gut ankommt. Das wäre dann auch schon die zweite Möglichkeit. Nicht das ich gesteigerten Wert darauf legen würde, irgend einem Popper die Schnauze einzuhauen oder, wenn es ganz dumm läuft, selber eine zu kassieren. Ich würde es mehr als Verteidigung des Reviers oder, weniger doof ausgedrückt, der Privatsphäre bezeichnen. Was kann ich schließlich dafür, dass ich mit solch verstrahlten Subjekten mir eine Welt oder schlimmer noch eine Kneipe teilen muss.
Was das jetzt mit Britta Mischers wirklich hervorragenden Buch zu tun hat ? Eine ganze Menge, bietet es doch dem alternden verknitterten Punkrocker einen wunderbar einfachen Ausweg aus dem Dilemma. Man kann als passiver Konsument an den Gedanken derer teilnehmen, die einem sonst so auf die Nerven gehen, ohne dabei jedoch nur im geringsten gezwungen zu sein es zu tun, wenn man nicht will. Wenn das Nervenkostüm von lauter Dummheit zu stark beansprucht wird, kann man einfach weiterblättern ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen oder gar die Gefahr einer handgreiflichen Auseinandersetzung einzugehen. Das hat wiederum den Vorteil, dass man relativ gefahrlos den eigenen, manchmal doch etwas sehr eingeschränkten, Horizont erweitern kann und so ganz nebenbei auch noch einige interessante Hintergrundinfos zu den Städten Berlin und Hamburg bekommt, die sich aber wohltuender weise weniger auf die Städte selber als auf ihre soziale und (sub-)kulturelle Zusammensetzung beziehen.
Das Konzept des Buches ist so einfach wie genial. Scheinbar wahllos ausgewählten Jugendlichen zwischen 13 und 30 werden, mit Abwandlungen und individuellen Besonderheiten, immer die gleichen Fragen, z.B. wer oder was man ist, welche Drogen man konsumiert, wen oder was man liebt / hasst, woran man glaubt, ob man politisch ist, denkt, handelt und so weiter, gestellt. Wirklich interessant macht die Sache dann natürlich die Tatsache, dass die befragten Jugendlichen keineswegs wahllos ausgewählt wurden und das praktisch von jeder relevanten Richtung ein Exemplar dabei ist. Dementsprechend extrem unterschiedlich fallen natürlich die Antworten auf die selben Fragen aus. Dabei kann man fast ohne Ausnahme von jedem Interviewpartner etwas lernen oder neue, bis dahin unbekannte Infos über die Entstehung und den Gegenstand von Jugend- und Subkulturen in Erfahrung bringen.
Das Buch macht süchtig und hat man sich einmal auf die Grundidee des Konzepts eingelassen, so fühlt man sich wirklich durchweg gefesselt. Ein Grund dafür ist auch der sehr offene, zurückhaltende, aber auch im richtigen Moment nachhakende Interviewstil von Britta Mischer. Die Antworten sind sehr ungeschminkt und roh wiedergegeben, so dass das Buch auch seinem Untertitel "Mitschnitte aus dem Leben der 13- bis 30-jährigen" gerecht wird. Die Texte der Interviews wirken nicht bearbeitet oder künstlich geschönt, obwohl ich mir aus eigener Erfahrung als Interviewer denken kann, dass die eine oder andere Antwort sicher sinnwahrend nachbearbeitet werden musste. Zu guter letzt ist das Buch auch ein sehr interessantes Fotobuch und die grafisch wie fototechnisch sehr aufwendig und liebevoll gestalteten Seiten sprechen auch diejenigen an, die es sonst mit dem lesen nicht so haben.
Von der Art der Aufmachung her würde ich denken, dass Britta Mischer sicher nicht umsonst das erste Interview gewidmet hat, so schön stylish aber auch stilsicher wirkt es insgesamt. Jede Seite und jede Subkultur oder Jugendgruppe ist passend layoutet und gestaltet. Das will heißen, ich würde einiges darauf wetten, dass die jeweiligen Interviewpartner am Layout ihrer Seiten zumindest mitgearbeitet haben.
Zum Inhalt bitte, aber pronto !
Zunächst haben wir da, wie erwähnt, zwei Mods, die mich in meinem Vorurteil bestärken, dass mir dies eine sehr suspekte Szene ist. Zwar halte auch ich Arroganz für absolut unverzichtbar für das Leben, aber mit dem hier beschriebenen Künstler-Dandytum kann ich sehr wenig anfangen. Weiter.
Es folgen zwei Hippies, so richtig üble Blumenkinder, die erstaunlicherweise aber gar nicht nur doof daherkommen, sondern sogar das ein oder andere nachvollziehbare (intelligente ?) von sich geben. Viel ist es zwar nicht und das wenige wird mit fortschreitendem Haschkonsum und der damit einhergehenden Spiritualisierung sicher auch noch verschwinden, aber zum Beispiel hätte die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zu Technik und neuen Medien auch von mir sein können. Insgesamt aber wie alle Hippies belanglos und viel zu friedvoll. Das nervt.
Als nächstes (bewusste Auswahl ?) ist ausgerechnet ein St. Pauli Oi-Skin an der Reihe. Der erzählt zwar im Grunde nichts neues, aber es ist doch immer wieder schön Erlebnisse und Gedanken Artverwandter zu lesen und einen Teil seines eigenen Lebens wiederzuentdecken. So geht es munter immer weiter. Es werden Popperkids und Skater, Gothics und Gabba-Freaks (sehr interessant !), Punks und Turboprolls, BMXer und Hip-Hopper, Sprayer und Antifa-Polittanten, Normale und Boygroupfans interviewt. Somit ist das Buch auch hervorragend zum Lachen geeignet, denn einige dieser Totgeburten (die Boygroup-Mädels waren einfach ne Spur zu hart) sind einfach nur lustig. Andere machen einen aufgrund ihrer unglaublichen Dummheit einfach nur noch traurig wie die 16-jährige Melanie. Manches kann man eben nur noch unter Realsatire verbuchen, anderes ist wirklich sehr interessant.
Ein paar kleine Schwächen hast das Buch auch. Hier und da sind Worte aufgrund des gewählten Hintergrunds nicht oder nur sehr schwer zu lesen und auf einer Seite sind ein paar Namen der dort gezeigten Skins nicht ganz richtig zugeordnet. Das ist aber beim sonst großartigen Inhalt nur Erbsenzählerei und sollte niemand von einem Kauf abhalten. Leider steht kein Preis dabei. Oder war ich nur zu dämlich den zu finden?

Alex.

     
  Savage Tunes Die Jüngeren
  c/o Alex.Horn Mitschnitte aus dem Leben der
  Bonner Wall 1 13- bis 30-jährigen.
  50677 Köln Britta Mischer
  . Verlag Schwarzkopf + Schwarzkopf
  Aktuelle Ausgabe #3 ISBN 3-89602-354-3
  80 Seiten DIN A5 Euro 25,90 (hat Alex hat ihn
  Euro 1,50+ Porto vorsichtshalber nicht gefunden?)
  . .