Eastern Standard Time: Ska Jazz aus Washington D.C.
 

Alte Liebe rostet nicht: Eastern Standard Time aus Washington sind eine Band, die ich nun seit Jahren live sehe und dabei nur einige LP besitze: mehr haben sie bis jetzt auch leider nicht herausgebracht. Nun waren sie wieder in Deutschland auf Tour und ich habe mich mit ihnen unterhalten.

In 2000 spielten sie auf dem Claus Ska Festival mit Spitfire und Schwarz auf weiß, wo sie den Ruhepool in ziemlich aufgedrehtem Umfeld darstellten. Im Berliner Pfefferberg bin ich meine Frage losgeworden:

Onlinezine: Ihr seid mit einer neuen Release nach Europa gekommen, allerdings ist die sehr kurz - 6 Lieder: wie kommt es?

James: Es ist eigentlich nur eine EP.

Onlinezine: Gut, das habe ich mir gedacht, als ich es gehört habe: das muß eine EP sein! Aber warum?

...Off The Clock
corpus delicti: die neue EP "Off The Clock"

James: Wir haben uns für die EP entschieden, da wir einige Tracks rumzufliegen hatten, die wir einfach nur irgendwo auftauchen lassen wollten. Wir haben welche für Compilations aufgenommen, die nie rauskamen. Wir dachten, daß sind gute Songs, aber waren uns nicht sicher, ob wir die auf einer kompletten LP haben wollten. Dann hatten wir ein richtig gutes Konzert, von dem es eine gute Liveaufnahme gab. Also habe wir uns gedacht, wir machen eine Art Vorschau daraus, wie unser neues Album klingen wird. Deswegen: wenn man es sich anhört, hat man auf der einen Seite die Studioaufnahmen und auf der anderen Seite Liveaufnahmen. Die Livemitschnitte sind ein Vorgeschmack auf daß, was auf der nächsten Platte geschehen wird. Die Studiosachen mochten wir, wollten sie der Öffentlichkeit zugänglich machen, wußten aber nicht, wohin mit ihnen.

Onlinezine: Also ist das ganze eine Art Vorschau?

Steve: Das sind Sachen, die wir an verschiedenen Stellen von verschiedenen Leuten gemischt aufgenommen haben, wie zum Beispiel Alf aus Jena hat einige Sachen gemacht. So ist das einfach eine gute Mischung geworden.

Onlinezine: Also ist das neue Album schon in Vorbereitung?

Steve: Ja, wir haben angefangen, aufzunehmen.

Onlinezine: Das wird hoffentlich ein Longplayer, oder?

..vor nicht allzu langer Zeit...
das (nicht mehr ganz aktuelle) Bandfoto...

James: Ja, das wir es.

Ilie: 48 Lieder, wird in einer Box erscheinen, Gelächter (nimmt er mich ernst?)

Onlinezine: Wie darf man sich denn die Zusammenarbeit mit Alf aus Jena vorstellen? Ist er nach Washington geflogen?

James: Ja, wir haben ihn gebeten, uns aufzunehmen. Zur selben Zeit, zu der wir im Studio waren, hatten wir einen Gig, auf dem er auch den Sound gemacht hat. Also hat er zum Schluß beides gemacht: die Live- und die Studiosachen. Die haben wir dann zusammen verwendet.

Onlinezine: Ihr steht nun seid 5 Jahren auf der Bühne. In der Zeit habt ihr wenig aufgenommen. Weniger als manch andere Bands, die bei weitem nicht Eure Qualität haben.

Steve: Dafür gibt es 2 Gründe: wir spielen keinen radiotauglichen Ska. Wir hatten nie ein Label, das richtig hinter uns stand. Benno ist großartig, Leech ist großartig, aber die können nicht viel für die Vereinigten Staaten tuen. Bito (?) ist großartig, tut aber nichts für Europa. Wir haben unsere Songs auf 16 unterschiedlichen Compilations. Bis heute haben wir unsere Musik ainfach auf viele Sampler getan.

Phil: Insgesamt muß es 20 Veröffentlichungen von uns geben!

James: Wir haben vielleicht an die 20 Veröffentlichungen gemacht, aber viele davon waren Sampler oder einfach nur sehr klein. Oder sie haben nie die Staaten erreicht. Wenn uns jemand fragt, ob wir einen Song für eine Compilation machen, dann nehmen wir einen auf. Und so erscheint der auf dem Sampler und nirgendwo anders. Genau, wie die Single, die als Promotion 7" für diese Tour gemacht worden ist: Du wirst dieses Lied nirgendwo anders hören! Das ist ein anders Beispiel dafür, wie wir das Publikum in kleinen Portionen füttern. Bis jetzt haben wir 2 EP's un eine LP rausgebracht. Wir haben wahrscheinlich sogar genug Material für einige LP's. Aber es ist immer eine Mischung aus Label-, Vertriebs- und Geldproblemen, die Dich aufhalten. Und Ska läßt ganz schön nach in den Staaten, da gibt es keine Zweifel. Deswegen arbeiten wir hart und lange an der neuen LP. Das ist auch ein Grund, warum wir die EP vorgeschoben haben. Der Grund dafür, daß die neue Platte solange warten läßt: jedesmal, wenn wir die Verhandlungen weit genug hatten, sind sie uns geplatzt. Wir mußten dann wieder ganz von vorn anfangen. Wenige Leute realisieren, daß der Prozeß einer Veröffentlichung Monate und Monate braucht, von dem Punkt, an dem Du Dir mit dem Label einig bist, bis die Platte im Laden steht. Da vergehen schnell 6 Monate. Es gab verschiedene Optionen für uns, aber zum Beispiel Moon Ska gibt es nicht mal mehr.

Steve: Die ganzen Skalabel, mit denen wir zu tun hatten, waren keine Skalabel mehr. Und keiner wollte mehr Ska anfassen.

Onlinezine: Die "3rd Wave", die dritte Welle ist vorbei.

Steve: Völlig vorbei.

Onlinezien: Das spürt man in Deutschland, ich weiß nicht, wie es in den Staaten ist.

James: Es ist sehr interessant es gab Propheten. Bucket von den Toasters hat mir letztes Jahr gesagt, daß sich im Jahr 2000 die Spreu vom Weizen trennen wird. Einige Bands werden es schaffen und manche einfach nicht.

Onlinezine: Denkst Du, daß das die Szene reinigen wird?

...on stage
E.S.T. unterstützen Spitfire auf der Bühne

James: einige Bands werden ganz aufhören, oder in neuen Projekten aufgehen, einfach nur als Überlebensstrategie. Bis zu einem gewissen Punkt wird es die Szene reinigen. Aber jedesmal, wenn eine Musik so einen Rückgang erlebt und wiederkehrt, hat sie sich völlig verändert gegenüber dem letzten Mal. Wenn man sich Ska aus den verschiedenen Perioden anhört, zu denen er breitere Beliebtheit besaß, hört man sich völlig verschiedene Stile an. Ich bin überrascht, daß das alles noch unter Ska läuft. Wenn Du mit alten Jamaikanern redest, die Ska aus seiner Geburtszeit kennen, die denken nicht, daß irgendetwas, was heute gespielt wird, nach Ska ist. Die Definition wird jedesmal wieder an eine neue Musik angepaßt.

Steve: Ich weiß nicht, ob ihr das mitbekommen habt, aber Ska war eine riesige Geschichte in den Staaten gewesen. Die haben jede Band unterschreiben lassen, selbst wenn das totaler Müll war! Manches war nicht mal Ska, wurde aber so vermarktet. Das war Mucke für den Kinderkanal. Die Veranstalter in D.C. (District of Columbia, die Gegend um Washington), haben Dich nicht mehr gebucht, wenn Du gesagt hast, Du machst Ska. Die wollten das nicht mehr.

Phil: Die wollten keine "bekloppte Musik für bekloppte Leute".

Onlinezine: Laß' uns mal wieder auf Eastern Standard Time zurückkommen. Ihr habt in meinen Augen eine ziemlich lustige Geschichte. Wenn man sich ansieht, wo ihr in den letzten Jahren gespielt habt, dann gibt es da mehr Orte in Europa, an denen ihr gespielt habt, als in den Staaten. Wie kam es dazu?

James: Ich habe Jahre zugebracht, Kontakte in Europa aufzubauen. Ich wollte die Band, in der ich vorher gespielt habe, nach Europa bringen, das ist nie geschehen. Dazu kommt auch noch, daß wir in Europa in einer riesigen Anzahl unterschiedlichster Städte spielen, in den Staaten kannst Du kaum zählen, wie oft wir am selben Ort spielen.

Phil: An manchen Orten spielen wir einmal im Monat, oder in der Woche.

James: Touren ist in Europa einfacher, wir haben hier große Unterstützung, wir haben einen Booker. Das hilft eine ganze Menge, wenn sich jemand um die ganzen Sachen kümmert. In den Staaten gibt es keine Agentur, die sich um Ska im ganzen Land kümmert, wie in Deutschland, das ist alles sehr regional da. Dazu kommt die Größe des Landes: von uns sind es sind 5 Stunden nach New York, 8 Stunden nach Boston, 12 Stunden nach Montreal und 10 Stunden nach Atlanta. das macht es manchmal sehr schwer, zu touren.

Onlinezine: Wo liegen sonst die Unterschiede in der Skaszenen in den USA und Europa?

...na sdarovje!!!
... Spitfire lehren die Amis backstage das Feiern

James: Dazu muß man sich ansehen, auf welche Weise Ska in den USA berühmt wurde, und was der Szene dadursch widerfahren ist. Ska wurde von den Major Labels angenommen. Die haben daraus die "große, neue Sache" gemacht. Als Ergebnis hattest Du eine Menge Leute im Publikum, die Du sonst nie auf einem Skakonzert sehen würdest. In Deutschland denke ich nicht, daß dieser Ansturm je geschehen ist, beziehumgsweise nicht mit der Intensität der Staaten. Ihr habt hier eher eine stabile Basis an Leuten, die Konzerte besuchen. Dazu kommt, daß die deustche Skaszene in jeder Hinsicht aktiver ist.

Steve: Hier ist es vielmehr ein Lebensstil, als in den Staaten.

Onlinezine: Euer Lineup ist etwas anders, als auf den letzten Touren. Können de Leute nicht nach Europa kommen, oder spielen sie nicht mehr in Eurer Band?

Ilie: Laß'uns mit unserem alten Keyboardspieler anfangen: er ist kokainabhängig. Er hat seine Augen verkauft, um seine Drogen zu finanzieren. Und wir können es uns nicht leisten, mit jemandem ohne Augen auf der Bühne aufzuschlagen. (diesen Teil der Antwort müßt ihr nicht glauben, er macht sich über Eric, den blinden Ex- Keyboarder der Band, lustig). Also haben wir Jeanine gefragt. Sie ist eine Freundin von mir, die eine Woche vor der Tour aus Vancouver nach Washington kam, um zu proben und dann die Tour mit uns zu spielen. Danach wird sie wieder nach Vancouver zurückgehen.

James: wir haben noch einen neuen Saxophonisten: Morgan. Er kommt auch aus der Washingtoner Gegend und hat in einigen Skabands gespielt. Er hat bei den Checkered Cabs gespielt, als uns unsere alte Saxophonisten Christie verlaßen hat. Dann haben wir noch einen Sänger, der wird aber erst beim zweiten Teil der Tour da sein, er hat eigentlich auch schon die letzte Europatour mit uns gemacht.

Ilie: Er spielt in einer anderen Washingtoner Band, mit der wir viel zusammen gemacht haben. Wir haben seinen Stil gesehen und die Energie, die er in seine Band bringt. Wir dachten, Wilson ist das richtige für uns. Wir haben dieselbe Musikalität, brauchten aber etwas mehr Entertainment auf der Bühne.

Steve: Wir möchten nicht die Art Band sein, die die Leute sehen, um dann zu sagen: "Die sind gut, aber die sind langweilig".

Onlinezine: O'kay: dann mal die abschließende Frage: Wann ist die neue Platte denn nun da?

James: wir werden direkt nach der Tour wieder ins Studio gehen und hoffen, im Sommer die neue LP am Start zu haben.

Onlinezine: Danke für das Interview.

 

Damit war allerdings für mich noch lange nicht Schluß: der Partytauglichkeit der Amerikaner zusammen mit den Russen von Spitfire und Schwarz auf Weiß aus Bremen hat mich noch einige Tage und einige Gigs auf Trab quer durch die Republik gehalten. Eine bunte Mischung von Bands, die richtig Spaß gemacht hat. Ich freue mich auf ein Wiedersehen!

Joe Travolta