Dessau 05 gegen Germania Halberstadt...

...oder "Zeitreise". Eine kurze Betrachtung einea Aliens in der Fußballwelt. Genauer gesagt: in der Welt des Verbandsligafußballes Sachsen- Anhalt.

Eigentlich war das ja nur ein Eintrag in unserem Forum. Allerdings finde ich, daß er zum Wegwerfen einfach zu schade ist. Also hört meine kleine Anekdote:

Ein Wochenende in Dessau bot mal wieder völlig neue Einsichten. Nach einer fetten Releaseparty der Tornados im neuen Dessauer Beatclub wurde ich nach wenigen Stunden Schlaf auf meine kulturellen Lücken aufmerksam gemacht: ich hatte noch nie in meinem Leben ein Fußballspiel live gesehen (Großleinwand in der Kneipe zählt da angeblich nicht). Das stieß bei meinen Dessauer Gastgebern auf ein dermaßen großes Unverständnis, daß ich mich im Stadion von Dessau 05 zu einem Heimspiel in der Verbandsliga Sachsen-Anhalt wiederfandt. ZEITREISE!!! Gut, Stadion ist vielleicht zu viel gesagt: kein Flutlicht, Minitribüne und mitten in einer Klaingartenanlage, Rentner mit Polyesterhemden, durch die Doppelripp oder Hosenträger schienen (ja, richtig: unter dem Hemd, ich hatte aber leider keine Kamera dabei) und Vokuhilas bis zum geht nicht mehr.
Kommen wir zur heilen Welt: 6,- für den Stehplatz und 2,50 für ein kühles, frisch gezapftes Blondes von einer holden (wenn auch bestimmt minderjährigen) Kleinstadtschönheit am Platz serviert: so soll es sein.

Verbandsliga Sachsen- Anhalt: Dessau 05

Aber dann! Vokuhila Alarm!!! Ich sitze trotz Stehkarte und da steht so ein Typ vor mir: schwarzes T-Shirt (Germania Halberstadt: Unternehmen Oberliga), Germania Schal, Plauze über dem Gürtel und - ihr habt es erraten - Schnörres. Nicht daß sein Anblick Leiden genug für meine durch eine Sonnenbrille nur mäßig gegen Umwelteinflüße geschützten Augen wäre, seine Tochter toppte ihn noch, die holde Dorfpomeranze! Buffalos schlimmer als der letzte Türkenproll, knielange Hosen, die ihre ein wenig durcheinander geratenen, minderjährigen X-Beine maßvoll betonten und drüber ein Fred Perry. Oh, Mann: und ich dachte schon immer, ich hätte alles schlimme auf dieser Erde gesehen. Doch dann legte der Vater los, in dem er die müden Krieger des VfB Halberstadt mit Vornamen anbrüllte: "Harry, Kopp hoch!". Den Schiedsrichter brüllte er jeweils mit "Deor gähd doch dirägg inne Gnochen!" oder "Do wor doch gornüscht" an, je nach dem, ob ein Spieler seines Vereines gefoult wurde oder gefoult hatte.
Ihr denkt, daß war alles? Nein, meine Kinder, daß war nur das schwache Vorspiel auf das, was folgen sollte. Es bestätigt ein ostdeutsches Klischee, aber damit muß die Weltstadt Halberstadt jetzt leben. Macht mich doch einer auf ein paar Freaks aufmerksam, die neben uns sitzen: New Balances, Jogginghosen, Sherman Button Down Hemden in selbige gestopft, Glatze, Sonnenbrille und schwarz- weiß rote Flagge vor sich ausgebreitet. Mann, wie lange habe ich so blöde Menschen nicht mehr gesehen. Irgendwie fühlten die sich auch vom Dessauer Block (in Form von 20 noch vom Vorabend alkoholisierten bunt- und kurzhaarigen) irgendstewie angepißt und haben sich zu ihren artikulationsschwachen Kollegen auf die Tribüne zurückgezogen. Das ohnehin schwache Spiel wurde von dort ab und zu kommentiert, was die Dessauer bewog, den Halberstädtern einen kostenfreien Deutschkurs für arbeitslose Fußballfans anzubieten.
Doch dann kam die 52. Minute. Nachdem Halberstadt seit 40 Spielminuten mit 2:0 im Rückstand lag, kam die Nummer 12 und wurde eingewechselt. Die Nummer 12 war auch offensichtlich der einzige Spieler, der in irgendeiner Weise am Sieg seines Vereines interessiert war und dementsprechend loslegte. Das wurde vom germanischen Halberstadtblock auch mit Anfeuereungsrufen belohnt: es kam Leben auf. "Gäh vour! Olleene, moch ihn rin!" und ähnliches war zu hören. Doch, was ist das, Kinder? Der gute Mann war pechschwarz, ein "Näschor aus Ofrigo"!!! Nun frage ich mich, was wohl die gruppeninterne Rechtfertigung für diese Faschohohlköppe ist, diesem Mann anzufeuern? Was bewegt die, sich Gau Sachsen-Anhalt Buttons ranzuheften, wissend, daß der einzig fähige Fußballspieler nicht aus ihrem Gau ist? Spüren die noch was? Irgendwie weiß ich nicht, wer die tragischerer Person war: die Faschobratzen oder Alexander Moussinga aus Benin, der sich für dieses arme Volk auf der Tribüne krummlegte. Ach so, fast vergessen: Dessau 05 hat mit 2:1 das letzte Saisonspiel verdient gewonnen.

Joe Travolta