MAD SIN

Nichts für schwache Nerven, was sich heutzutage auf einem Mad Sin-Konzert abspielt: der Sänger verschluckt regelmäßig sein Mikro, der Slap-Bassist wirbelt mit seinem Instrument herum, als wär’s nur ’ne Fiedel, und ein feuerspuckender Bühnen-Roadie, der inzwischen durch einen aufdringlichen Elvis-Imitator (Arvid) ersetzt wurde. Was die einst dem reinen Psychobilly verschriebene Band jedem Konzertbesucher bietet, läßt sich auf alle Fälle sehen und hören. Das sah vor 12 Jahren (für die Versager unter den Kopfrechnern: 1987), als sich Mad Sin gegründet haben (es muß wohl in einer schwülwarmen Sommernacht passiert sein), noch etwas bescheidener aus:

Die Anfänge:  Köfte, Holly und Stein

Holly hat erst vor drei Monaten das Baßspiel erlernt, der erwählte Schlagzeuger Matthias hat bereits nach 2 Proben das Handtuch geschmissen und Sänger Köfte und Gitarrist Stein frönten zu dieser Zeit dem Psychobilly in seiner krassesten Form. Dieser locker zusammengewürfelte Haufen aus verrückten Berlinern, der sich zunächst in einem total falschen Englisch „Sinners Mad“ nannte, coverte im Sommer 1987 zu dritt (Köfte am Schlagzeug) so lange bekannte Rockabilly-Standards auf der Straße, bis ein Sozi-Typ vom „Offenen Kanal“ Berlin auf das Trio aufmerksam werden mußte. Dieser ließ Sinners Mad daraufhin mit ihrem Straßenrepetoire in den Pausen einer Fernsehgesprächsrunde auftreten (wahrscheinlich, „um die drei jungen Leute von der Straße zu holen“), was das Publikum brav mit Applaus belohnte. Die nun prickelnde Aussicht auf einen bevorstehende Weltkarriere veranlaßte die drei, zunächst ihren Bandnamen in korrektes Englisch umzuformulieren, woraus Mad Sin entstand, und sich anschließend auch mal zu richtigen Bandproben zu verabreden, bei denen endlich eigene Songs entstanden.

Der erste richtige Konzert-Auftritt folgte am 10.10.1987 auf einem reinen deutschsprachigen Psychobilly-Festival in Berlin, der dann aufgrund Köftes Popularität in der Szene auch zu einem richtigen Erfolg wurde. Der erste Schritt auf der „Erfolgsleiter“ war getan...

Ja, ja, denn nach einigen Auftritten wurde sogar die Plattenfirma Maybe Crazy aus Hamburg auf Mad Sin aufmerksam, so daß 1988 das 1. Demo aufgenommen wurde (noch mit Steins altem Vierspurgerät). Das Ergebnis war die reine Psychobilly-LP „Chills & Thrills...“ , die Anfang 1989 veröffentlicht wurde und noch heute unter den Psychos als Kultplatte gehandelt wird.

1990 bekam Mad Sin die Chance, auf dem traditionellen Hamsby-Weekender zu spielen, was für die Band den ersten England-Trip bedeutete. (Heute bevorzugen sie den asiatischen Raum...)

Die zweite LP „Distorted Dimensions“ folgte bereits 1990, die dritte LP „ Amphigory“, diesmal auf Fury Records, erschein 1991. Diese hatte aber einen derart üblen Sound, daß Mad Sin sich nicht mehr bei Tageslicht auf die Straße wagten und noch im selben Jahr gezwungen waren, ein neues Glanzstück auf den Markt zu schmeißen, um den Sound des Vorgängers schnell vergessen zu lassen. Daraus entstand eine erstmalig vom Punk (á la Ramones, Motorhead) beeinflußte Scheibe, deren härterer Sound durch den neuen Schlagzeuger Pat noch unterstrichen wurde: „Break The Rules“ (Maybe Crazy). Symbolisch haben sie damit zum ersten Mal die Psycho-Rules gebrochen, indem sie es wagten, sich im Angesicht ihrer treuen Fan-Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Erst noch etwas zaghaft, im Laufe der Zeit aber immer deutlicher.

Anfang 1993 nahm Holly aus persönlichen und musikalischen Gründen Abschied von Mad Sin (er spielte noch in zwei Rockabilly-Bands Baß: erst bei den „Sundowners“ und dann bei den „Primitive Rockers“) und mußte so zwangsläufig auf der inzwischen 5. LP „Ticket into Underworld“ durch den Bassisten Robby ersetzt werden. Dieser erwies sich aber nicht als Mad Sin-partytauglich, so daß Tony, der Ex-Bassist von den Klingonz, spontan einsprang. Da das Mad Sin-Urgestein  aber nunmal aus Köfte, Stein und Holly besteht, kam es am Ende, d.h. Ende 1994, nach einem gemeinsamen Freundschaftstrunk zwischen Holly und Köfte zu einer freudig umjubelten „Reunion“. Zum gleichen Zeitpunkt wurde der Schlagzeuger Pat gegangen und Hermann von dem damaligen Ska-Auslaufmodell „Blechreiz“ als künftiger Mad Sin-Trommler übernommen.

Diese Ereignisse brachten der Band ohne Zweifel einen neuen Schub, der zu der vielfach gelobten „God Save The Sin“ von 1995 (Count Orlock Rec.) führte. Diese 6. LP veranlaßte insbesondere die Punkszene zu einem anerkennenden Raunen.

1997 folgten Touren in England, Finnland und Japan; Faith no More, Gwar, Misfits und Cock Sparrer wurden supported und Ende ’97 erfolgte endlich eine Anfrage von der großen und allmächtigen Polydor (Regieanweisung: Trommelwirbel).

Wie eine Firma wie diese auf vier verlauste Berliner aufmerksam wird? Es ist alles mal wieder nur ein Zufall und glückliche Fügung gewesen: ein ehemaliger Psycho (Meyer) hat auf der „El Kattivo“-Record Release Party von Mad Sin unsern wohlbekannten Köfte angelabert, ob die Band nicht Bock hätte auf einen Plattenvertrag mit „denen“, er könne als zukünftiger Produktmanager bei Polydors  Sub-Label Bonanza vielleicht was klar machen. Was für eine Frage...

Es winkten rosige Zeiten mit Sessions am hauseigenen Pool, weiblichen Sklaven und eigenem Chauffeur. Nun gut, das ließ sich dann doch nicht so ganz realisieren, aber immerhin hat es Anfang 1998 einen echten Plattenvertrag über zwei feste LPs gegeben Davon wurde zwar nur eine verwirklicht, die ist dann aber auch unter größten Strapazen, abenteuerlichen Umständen und mysteriösen Vorfällen auf Malta im Frühjahr 1998 entstanden: u.a. ist der Baß auf dem Hinflug zerbrochen, hat sich der Bandbus mit fast kompletter Band überschlagen, wobei aber alle unverletzt blieben, etc. Troz allem soll Malta übrigens sehr schön sein!

„Sweet And Innocent...“ heißt sie, abwechslungsreich, rockiger und manchmal sehr schnell ist sie (in nur 2 Monaten entstanden, deshalb die schnellen Passagen mit dem noch schnellerern Gesang). Berücksichtigt man die Umstände, unter denen sie entstanden ist, handelt es sich hier um eine kleine Perle in der Mad Sin-Discographie.

Kurz nach den Plattenaufnahmen trennten sich die Wege von Hermann, dem Schlagzeuger, und Mad Sin wieder, so daß im Juli 1998 Metal-Markus die Gelegenheit bekam, sich in dieser Combo zu bewähren, und er tut es bis heute absolut überzeugend (olle Heavy-Socke, Du). 

Aber obwohl sich die Jungs abgestrampelt haben auf zahlreichen Festivals und Touren, z. B. mit den Toten Hosen, den Ärzten, mit Hellacopters, Dog eat Dog und anderen Großverdienern, „stellte sich Gold nicht ein“ (Zitat), weder bei der Polydor noch bei Mad Sin. Und da Polygram ziemlich unerwartet aufgelöst wurde und damit zusammenhängend noch unerwartetere Umstrukturierungen stattfanden (Tschüß Meyer), trennten sich Anfang 1999 auch wieder die Wege von Polydor und Mad Sin.

Karriere geplatzt, alle vier Musiker arbeitslos, da ist die Gosse die einzige Perspektive... Denkste! Seit dem Frühjahr 1999 basteln die Berliner (=Fettgebäck in Westdeutschland) mit Volldampf und viel Energie an neuem vielversprechenden Material. Verstärkt durch den 2. Gitarristen (Rhythmus) Tex Morton, der früher u.a. bei Sunny Domestosz gespielt hat, können sich Mad Sin jetzt in die Richtung weiterentwickeln, die ihnen im Moment am meisten und allen gleichermaßen Spaß bringt: rockiger und weg vom Psycho-monoton-geslappe. Das im Mai aufgenommene Demo (diesmal nicht mehr auf Steins altem Vierspurgerät) zeigt ganz klar eine neue Linie: ein Schuß Glamrock mit fetten Gitarren, ein durchdachter Songaufbau, abwechslungsreicher Baß-Einsatz und ein viel bewußter eingesetzter Gesang. Insgesamt eine Prise Gluecifer, eine Prise Backyard Babies, eine Prise Monster Magnet und ein Riesenhaufen Mad Sin, unverkennbar, allemal!

Mit neuem Manager, neuen Songs und neuem 2. Gitarristen kann das nächste Jahrtausend kommen. Der Highway-Tiger (Bandmietbus) steht schon getankt bereit für die nächste durchgeknallte Runde.

Sandra