Italien

Der zweite Teil des von Daniela geführten Interview mit Marco dieses Mal über die vergangene und gegenwärtig Szene in seiner sonnigen Heimat Italien!

Daniela: Ich bin neulich auf einem KK-Konzert in Savona gewesen und was mich am meisten beeindruckt hat, war die überwiegende Mehrzahl von sehr jungen Leuten gegenüber den "Älteren", die nur noch eine Minderheit bildeten. Ist die Wachablösung ausgerechnet bei der KK-Anhängerschaft festzustellen oder ist das Phänomen auf die ganze Szene Italiens übertragbar? Wie hat sich die Bewegung in Italien entwickelt? Worin unterscheidet es sich heute von den 80er und 90er Jahren?

Marco: Zu unseren Konzerten kommen heute sehr junge Leute und die meisten davon identifizieren sich nicht mit dem Kult "Skinhead" oder "Punk"; sie sind aber voll dabei: singen, tanzen, kommunizieren unter sich und mit uns. Viele von den Älteren haben sich auf den Weg verlaufen. Wie du weißt, hat jeder seine Probleme... die Arbeit, die Familie, die Frauen, die Drogen... so ist das Leben! Einige haben vielleicht den Enthusiasmus verloren, andere wiederum haben andere Wege genommen...aber viele sind noch dabei. Hinzu kommt es, daß heute in Italien - in Vergleich zu 10 Jahren- am Wochenende mehrere Konzerte gleichzeitig stattfinden, und so ist die Szene vielmehr zerstreut und weniger konzentriert als damals. Als wir mit den ersten Oi! Festivals in Italien mit Gruppen wie NABAT und DIOXINA starteten, gab es höchtens 300 Leute. Mitte der Neunziger haben wir Konzerte gemacht, wo 2000 bis 3000 Menschen kamen. Aber das war eine besonders günstige Zeit für den Punk in Italien. Es fing schon 1994 mit dem Konzert von COCK SPARRER in dem besetzten Centro Sociale (ähnlich wie ein Kulturzentrum) Leoncavallo an: ein riesiger Erfolg. Zur gleichen Zeit ist es KK endlich gelungen, mehrere Türen niederzureißen und viele Vorurteile abzubauen. Und dann konnten wir in verschiedenen centro sociali spielen, wo sich tausende von Skins und Punks versammelten. Jahre lang sind KK in Italien boykottiert worden; sie wollten uns sozusagen in einer Abstellkammer einschließen. Wir hatten aber das starke Bedürfnis die Wahrheit über uns und über die Skinheads zu sagen: Skinheads sind weder faschistisch noch Idioten und Oi! ist kein Dummkopf-Musik! Nach jahrelangen Kampf konnten wir es vor der Masse laut herauschreien. Es herrschte ein großer Enthusiasmus und es war sehr wichtig Konzerte zu geben und nah bei den Leuten zu sein (...) Heute ist die Sache anders geworden. Viel Zersplitterung, insegesamt fehlt es an Solidarität. Vielleicht, wenn den Leuten richtig bewußt wäre, wieso sie sich für die Zugehörigkeit zu der Skinhead- und Punksubkultur entschieden haben, hätten viele der jetztigen "fiktiven" Probleme von Neid, Anthatie, Feindschaft kein Grund mehr zu exisitieren. Zur Solidarität fehlt es jetzt vielleicht an historischen und politischen Bedingungen. 1995 war Berlusconi an der Macht und wir versuchten alle zusammen Opposition zu leisten...Es war eine große Explosion, die leider nicht lange angedauert hat. Zum Beispiel fand Ende 1994 das BUSINESS-Konzert in einem Centro Sociale in Bologna statt. Die Leute von den centro sociale haben dem Oi! die Türen geöffnet und da trafen sich nicht nur Skins und Punks, sondern alle diejenigen, die an eine "Alternative" glaubten. Verschiedene Tribes koexisiterten zusammen (sogar eine Gruppe von Ravers kam rein..); der Saal war unglaublich voll und auf die Bühnen stiegen so viele Menschen zu singen und zu tanzen, daß der Boden zusammenbrach. Totales Delirium...aber keine Gewalt, keine Probleme...Zwei Jahre später, als die BUSINESS in Biella spielten gab es nur ca. 50 Personen. Auch wenn es sich um ein Fehler in der Organisation gehandelt hat, ist die Geschichte exemplarisch, um auf die veränderte Situation der Szene hinzuweisen. (...) Die Fixpunkte bzw. die Orientierungspunkte, die für unsere Bewegung bis Mitte der 90er gültig waren, müssen heutzutage durch neue ergänzt werden. Die Leute haben sich verändert und die Orte auch: Plattenläden, sowie Plätze und Kneipen, wo man sich damals traf, haben jetzt viel an Bedeutung verloren. Auch die centro sociale sind weniger engagiert, weniger organisiert...der Enthusiasmus ist weg! Zur Schwächung der Skinheads Szene kam der politische Druck hinzu: die Faschos von rechts und Redskins von links. Gehirnwäsche von überall. Ende der 80er organisierten sich die Rechten in politischer Strukturen, ihre Zahl wuchs in den nächstfolgenden Jahren erheblich und mindestens einmal im Monat veranstalteten sie ihre Konzerte. Es gab Phasen, als das Übergewicht auf die Szene hatten; wir -als antirassistisch aber nicht politisch engagierte Skinheads- bildeten nur eine Minderheit. (...) Aber wer die Revolte machen wollte, hat nicht mit den spezifischen Bedingungen Italiens gerechnet, die ganz anders waren als die in England oder Deutschland, wo es andere Voraussetzungen gibt und, wo das Sozialsystem und die squats eine mächtige Realität sind. Bei uns -hingegen- nur die Mamma rules! Die einzige Revolte, die in Italien möglich gewesen wäre, wäre die im kulturellen Bereich: die Verwaltung von Orten, wo man zusammen Musik und Kultur machen konnte...weg von der Straße, weg von Heroin. Es entstand aber nur Frustration. (...)Der Fehler der italienischen Bewegung, war es unsere Identität, sowie soziale und strukturelle Besonderheiten auszublenden und stattdessen sich am Ausland zu orientieren. Das galt nicht nur für die linke, sondern auch für die rechte Szene...eine bloße Nachahmung. Gewalt sollte man anders kanalisieren, anstatt gegen "erfundene" Feinde zu kämpfen.. In Italien waren sogar keine der sozialen und der politischen Bedingugen gegeben, die eine Politisierung der Skin-Szene gerechtfertigt hätte. Weder Parteien noch Bewegungen von rechts haben - in Gegensatz zu England oder Deutschland- je versucht die Jungs in ihre Reihen zu rekrutieren, weil die Politik ein neues "Niveau" erreicht hatte und sie den Kampf auf den Straßen nicht mehr brauchten und wollten.(...) Nach `84 arbeitete man daran, die Bewegung -in Italien sowie in ganz Europa- zu stärken. Durch das Engagement von Labels wie Oi! Records, Link Records, Knock Out oder Fanzine wie SkinUp und überhaupt die S.H.A.R.P., die sich für die Bewegung eingesetzt haben, erlebten Oi!, Punk und Ska wieder einen Aufschwung. (...) Bis dann der Höhepunkt am Anfang der 90er erreicht wurde. Es lag auch daran, daß ein Generationswechsel stattgefunden hatte: es waren neue Leute hinzugekommen, die mit Kopf und nicht nur mit Fäusten gehandelt haben.(...)

Daniela: Wie schätzt du die heutige musikalische Szene Italiens? Gibt es Bands, die -deiner Meinung nach - eine Orientierung für die Bewegung geben?

Marco: In dem musikalischen Bereich herrscht zur Zeit in Italien Stagnation, oder besser gesagt: meiner Meinung nach gibt es keine Band, die neue Inputs der Bewegung vermitteln kann, wie es in der Vergangenheit z.B. der Fall von NABAT, BANDA BASSOTTI oder KK gewesen ist. Vielleicht ist es nur eine Phase...was ich feststelle, ist daß, viele junge Bands sich an der Vergangenheit orientieren, und weniger über die Gegenwart sprechen. Anstatt zu erzählen, was die Bands schon in den 80er in den Songs sagten, sollten sie lieber über ihren Alltag singen...was sie sind, was sie Tag für Tag an ihrer Haut erleben. Das ist Oi!. Oi! ist Real-Punk, Oi! ist Ausdruck des Working-Class-Bewußtseins überhaupt! Viele junge Bands reduzieren ihr Potential auf die Nachahmung von Haltungen, Einstellungen und Lyrics, die aber zu den 80er Jahren gehörten. Es ist nicht so, daß das Ganze an Aussage verloren hat. Es ist nur, daß die Kids von heute diese Realität von der sie singen, nicht selbst gesehen und erlebt haben. In den 80er wurde man als Skinhead asozial und intolerant, weil die Bedingungen härter waren. Wir mußten uns damals als Skinheads ständig und überall auseinandersetzen.. sogar in centro sociali war uns den Eintritt untersagt. Wir wurden gehaßt und gejagt... wir hatten insgesamt nicht so viele Möglichkeiten, uns "auszuleben" und zu "amusieren". Die Skinheads von heute können -wenn sie wollen- in fast alle Clubs, Discos usw reingehen, ohne Probleme zu bekommen...sie sind nicht mehr stigmatisiert und es gibt eine breite Akzeptanz . Sie können fast überall ihre Musik machen. Es ist total anders als damals...Inzwischen sind 20 Jahre vergangen und die Kids von heute sollten sich selbst mehr treu sein. Eine junge Band, die nicht in der Lage ist, das Leben im Jahr 2000 "wiederzugeben", wird gar keinen Beitrag zur Bewegung bringen. Sie sollten über ihre Frauen, ihren Nachbarn, was weiß ich...über Erfahrungen beim Einkaufen erzählen, was sie aus dem Fenster oder im Fernseher sehen ..alles authentisch, alles was ihr Alltagsleben ausmacht (...).

Daniela: In welchem Verhältnis stehst du zu Deutschland?

Marco: Man soll der deutschen Szene überhaupt sehr dankbar sein, weil sie die Kontinuität der Punk-Kultur von den 70ern bis heute möglich gemacht hat. Deutschland ist weiterhin ein sehr wichtiges Vermittlungsglied zwischen England und der Rest von Europa gewesen. Die Deutschen haben uns viele englische Bands bekannt gemacht: sie haben Touren organisiert, Platten produziert... (...) Die KK arbeiten seit Jahren zusammen mit KNOCK OUT und MAD BUTCHER. Es ist eine sehr gute Kooperation entstanden. KNOCK OUT produzierte 1993 "KLASSE KRIMINALE- THE HISTORY OF...PART 1 (THE COLLECTED HIGHS 1985/1993)". Weiterhin haben sie KKs erstes und zweites Album "CI INCONTREREMO ANCORA UN GIORNO" (1989) und "FACCIA A FACCIA" (1991) als Picturedisc nachgepreßt und 1995 zum zehnten Jahrestag die Doppelsingle"1985-´95 ORGOGLIO PER LE TUE PASSIONI" und das Album "I RAGAZZI SONO INNOCENTI" auf Vinyl produziert. MAD BUTCHER hat die 7" "MIND INVADERS" (1999) herausgebracht und hat das Album "ELECTRIC CARAVANAS" gedruckt. Das Album wurde in Deutschland auch mit IMPACT RECORD, in Polen für Rock´N´Roller, in Canada für INSURGENCE RECORDS und in Frankreich für die NO CO Records veröffentlicht....Mad Butscher hat sich aber um die Koordination des Ganzen und um die Genehmigungen gekümmert. Bei MB wird demnächst die neue Single "INTERNATIONAL SOLDIER" sowohl auf Vinyl und auf CD herausgebracht. In der CD Fassung kommen den drei Liedern ein Song aus "ELECTRIC CARAVANAS" und acht Lieder live (6 davon sind in Canada/OI! Fest von März 2000 aufgenommen worden.(...) Und was die deutschen Bands betrifft? Es scheint mir, daß es seit ca. 6 Jahren auch hier in Deutschland die Situation stagniert. Unter den Bands finde ich 4 PROMILLE gut...klassicher Oi! und gute Balladen; BACKLASH und YUMMY mit ihrer gut gelungene Mischung zwischen Skinhead Reggae und Glam Rock.

Daniela: In den letzten Jahren kamen KK- Platten wie "I KNOW THIS BOY" (1999), "ELECTRIC CARAVANAS" (1999) und "WHAT HAVE YOU GOT? FUCKING PUNK ROCK!!" heraus, die ein deutliches Punk 77 Gepräge zeigen. Kannst du was über diese stylistische Evolution sagen?

Marco: Der Punk hat nicht an Gültigkeit verloren: sowie in 1977 ist der Punk im Jahr 2000 immer noch ein sehr wichtiger Ausdruck- und Kommunikationsmittel. Punk ist Energie und das brauchen die Kids heute, wie damals. Anders waren die Rahmenbedingugen und wie das Musik-Business gemacht wurde. Ende 70er anfang 80er waren die Punk-Gruppen in den Charts, heute haben Dance-Floor und Techno gewonnen, aber das Bedürfnis nach Rebellion besteht weiterhin und so ist Punk heute - wie damals- eine Notwendigkeit. Es war und ist mein Ziel, mit der neuen Generation zu kommunizieren. Ich weiß auch nicht wie, aber wir haben es geschafft. Ich versuche das Feeling und die Stimmung von Punk den Jungeren zu vermitteln. Es ist nicht einfach heutzutage so eine Basis zu schaffen, aber es ist für mich eine große Herausforderung, weil die Kids die Zukunft sind. Die Szene soll wachsen und nicht aussterben und deswegen soll Kontinuität geschaffen werden, weil sie diejenigen sein werden, die in der Zukunft neue Bands gründen und neue Musik machen werden.

Daniela: Ein letztes Statement...was möchtest du den Leuten sagen?

Marco: Steh zu den Leuten, die wie du denken und deine Leidenschaften teilen; arbeite zusammen mit deiner (Sub)Kultur, schaff Solidarität, hab Spaß. Leben, nicht Überleben!

Interview und Übersetzung: Daniela