Harrymania Pottericiensis

Es ist manchmal anstrengend, wenn Medienereignisse ungewollt in Dein Leben eindringen. Nicht nur, daß man Zlatko und Jürgen auf Schritt und Tritt begegnet, jetzt kommt man nicht mal mehr an einem Bahnhofskiosk vorbei, ohne das sich die Worte "Harry Potter" irgendwo in sein Gesichtsfeld drängen. Nun gut: man verteufelt es, regt sich ein wenig auf und das war es dann. Denkste! Denn dann kommen irgendwann die vernünftigsten Leute und sind angesteckt. So auch die Gründungshelferin des Onlinezine, Heike Bludau. Da wir uns bis jetzt der Lektüre dieses Buches erfolgreich entziehen konnten, gibt Heike hier ihren Kommentar zum besten:

Er ist eher schmächtig, sieht kaum etwas ohne seine Brille, hat struwelig-schwarze Haare, die widerspenstig von seinem Kopf abstehen und alle Welt kennt ihn scheinbar schon seit langem - außer mir.

'Was? Du kennst Harry Potter nicht???' Als ob ich zugegeben hätte, noch nie von Helmut Kohl, Coca Cola oder den Beatles gehört zu haben. Und tatsächlich, einmal drauf gebracht begegnet einem Harry auf Schritt und Tritt. Auf dem Spielplatz (lesende Omas, Mütter und Väter), in Zug/ Bus/ Straßenbahn (in Zauberbücher vertiefte Techno-, HipHop- wie Öko-Kids in wortlosem Einverständnis), ganz zu schweigen von Schulhöfen und -klassen. Eigentlich überall.

 Nicht nur, daß seit Wochen in den verschiedensten Medien über Joanne K. Rowlings durchschlagenden Erfolg berichtet wird: Platz 1-3 der Spiegel Bestsellerliste sind von den ersten drei Harry Potter Büchern dauerbelegt und im Onlineshop amazon gibt es schon jetzt 67 (!) Leserrezensionen zum vierten Band, das erst Mitte Oktober auf deutsch erscheint!

Na gut. Um nicht ganz vom Weltgeschehen ausgeschlossen zu sein betrete ich die Buchhandlung und frage, wo ich Harry Potter, am besten als Taschenbuchausgabe finde. Schon wieder dieser Blick – dann zuckt die Buchhändlerin bedauernd aber milde lächelnd die Schultern, „Es gibt sie nur in der gebundenen Ausgabe und sie sind nachbestellt“. Beruhigend spricht sie auf mich ein als erwartete sie einen Wutanfall oder schlimmeres. Ha – ich laß mir doch nicht von einem Kinderbuch auf den Nerven rumtrampeln.

Dann eben nicht...

Ansteckungsgefahr.

  Eine Woche später sitze ich im Zug den ersten Harry Potter Band in der Hand. Ab der zweiten Seite trample ich ungewollt auf den Nerven anderer herum. Nur um Augen und Gedanken nicht von Harrys Abenteuern lösen zu müssen, bestelle ich mit einem ‚Ja bitte’ einen Kaffee, den ich nicht trinke und überlasse meinen reservierten Fensterplatz einem dauertelefonierenden Business Manager. Wenn der wüsste was er verpasst!

Nach der letzten Zeile wird mir klar: ich habe akute Harrymania Pottericiensis und das Wochenende mit 2x24 Stunden steht vor der Tür! Welche Buchhandlung hat Notdienst?

So kurios es scheinen mag, dem Lesen eines Kinderbuchs entgegenzufiebern wie der ersten eigenen Veröffentlichung – ich stehe nicht alleine da! Am 24. März schreibt die Berliner Zeitung: »Hoch motivierte Angestellte vergessen morgens aus der S-Bahn auszusteigen, weil sie unbedingt das Kapitel zu Ende lesen müssen. Seit die Potter-Bücher auch in den Chef-Etagen aufgetaucht sind, häufen sich auch im Management die plötzlichen Krankmeldungen.«

Ehrenwerte Gesellschaft.

Nicht nur ich bin also in bester Gesellschaft, auch Zauberschüler Harry Potter. Laut Spiegel vom 14.9. steht er in den USA mittlerweile neben J. D. Salingers "Fänger im Roggen", John Steinbecks "Von Mäusen und Menschen", Mark Twains "Huckleberry Finn", William Goldings "Herr der Fliegen" und Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" auf dem Index der verbotenen Bücher  – wenn das kein Prädikat ist. Und da fragt mich letztens eine Freundin doch tatsächlich, wer Harry Potter sei... „Was? Du kennst Harry Potter nicht???“

Noch drei Wochen, dann ist der neue Band in deutsch erhältlich. Wahrscheinlich geht’s dann wieder zu wie im SSV.

Ich hör es förmlich „...sie sind nachbestellt“ – aber diesmal nicht mit mir! Vielleicht sollte ich vor Ladenöffnung bei der Buchhandlung sein? Der Verkäuferin schon mal prophylaktisch Pralinen schicken?? Oder Blumen???

Habe gehört, in England wurde der offizielle Erscheinungstermin in den Buchhandlungen auf 16:30 festgelegt, damit die Kinder nicht wieder die Schule schwänzen.... bleibt wohl nur die Krankmeldung!

Um den Harry Potter-Entzug bis dahin erträglicher zu machen, kann man im Netz alles mögliche über Harry, seine Freunde, seine Schule und seine Erfinderin Joanne K. Rowling finden sowie über seinen Film, der im Herbst nächsten Jahres in die Kinos kommen soll. Zu Beispiel auf dieser sehr schönen Site !

Mit vielen Grüßen aus Hogwart

Heike Bludau

Wen es interessiert, welche Kreise dieses Buch sonst so zieht, sollte auf den Seiten von Spiegel Online weiterlesen.