COCKNEY REJECTS in Deutschland

Berlin, 13. September "im Jahr des Milleniums", in dem alle Teenies im Alter zwischen 10 und 17 Jahren ihre Altersgenossen besser an der Stimme als am Aussehen erkennen und wochentags bereits gegen 7.30 Uhr über diese kleinen transportablen, fast unsichtbaren, superleichten akustischen Kommunikationsapparate bestens darüber informiert sind, was eben jene vom "Hören-Sagen" bekannten gleichgesinnte Personen auf dem Weg zur Schule erleben; in diesem neuen Zeitalter, in dem man nicht mehr im Kaufhaus einkaufen, sondern im Einkaufscenter mit Event-Charakter shoppen geht und Afterwork-Clubs stark im Kommen sind, ist es fast unglaublich, daß so alte Säcke wie die Proll-Punkrocker von COCKNEY REJECTS plötzlich wieder in Erscheinung treten. Oder werden wir alle nur sehr geschickt und vor allem modern getäuscht durch eine multimediale globale Interaktion im Cyberspace????? Schließlich leben wir im neuen Jahrtausend, wie uns zur letzten Jahreswende ja fast minütlich aufs Brot geschmiert worden ist, und man sollte mit allem rechnen. 

Aber statt meinen Zukunftsvisionen freien Lauf zu lassen, sollte ich lieber an dieser Stelle mit dem Konzertbericht loslegen. Die Jungs und Mädels der Hauptstadt und umliegenden Dörfer wurden gerufen und konnten der zweiten Versuchung in diesem Jahr, COCKNEY REJECTS persönlich in Berlin zu huldigen, nicht widerstehen. Und auch ich habe also tatsächlich an dem oben umschriebenen Termin als treuer Anhänger einer gar nicht so kleinen Fangemeinde am COCKNEY REJECTS-Konzert teilgenommen. 

Sehr erstaunlich, daß es gegen 22 Uhr bereits ziemlich voll war, womit ich mitten unter der Woche wirklich den Veranstaltungsort meine, und nicht wie üblich eher auf die anwesenden Konzertbesucher anspiele. Was der Name einer Band alles bewirken kann, die der Legende nach den Begriff "Oi!" erfunden und mit größtem Erfolg musikalisch bis zur proletarischen Vollendung weiterentwickelt hat (bevor der Absturz zum Heavy Metal folgte) ...

Nun aber mal der Reihe nach. Nachdem die viel gelobten SOUL BOYS, die auf mich wie eine versuchte Skrewdriver-Imitation (rein gesangs- und songtechnisch, nicht politisch gemeint) wirkten und auf Dauer etwas eintönig, wenn auch vom Tempo (über die gesamte Zeit gleichbleibend) sehr schnell waren, ihr Set beendet hatten, kamen VANILLA MUFFINS auf die Bühne und hatten alle Mühe, das Publikum trotz genialer Songs, die heute leider weniger genial vorgetragen wurden, für sich zu gewinnen. (Warum sind meine Sätze heute nur so gemein verschachtelt? Ich habe doch gar keine Drogen zu mir genommen... Ja, ich weiß, damit liege ich nicht gerade im Trend.) Das Publikum wartete ausschließlich auf seine wahren Helden, und würdigte die zwei recht würdigen Openern kaum mehr als mit einem müden Klatschen. Pisspublikum, kann ich nur sagen, geht doch auf eure Dörfer zurück und belästigt mich nicht mit eurer Anwesenheit! Na ja, ich hatte meine Freude an dem kurzen musikalischen Vorspiel (ouuhhhh, jaaahhh, uuuuhhh) und habe den Vorbands meinen Respekt in Form von Fotos und mitwippender Hüfte erwiesen. 

Jetzt wollte aber wirklich jeder die alten Männer aus England zu Gesicht bekommen, deswegen sind ja heute schließlich 30 hart verdiente Ocken Eintritt gezahlt worden. Und nach einer etwas längeren Pause kamen sie dann endlich auf die Bühne: zumindest der echte Sänger Stinky Turner und der echte Gitarrist Micky Geggus. Der Bassist war ausgeliehen von Red Alert, und auf den Drummer konnte ich leider mangels Sichtmöglichkeit keinen Blick werfen, ihn folglich auch nicht identifizieren. Die beiden Cockney-Brüder konnte ich natürlich auch nicht wirklich hundertprozentig identifizieren, schließlich ist keine optische Ähnlichkeit mit den Fußballproll-Jüngelchen vergangener Tage mehr vorhanden (ein Vergleich bekannter Fotos mit den Personen der Gegenwart ist zum Scheitern verurteilt). Aber die Stimme Stinkys ist ziemlich unverkennbar und immer noch richtig frisch und nicht so verbraucht und müde (wahrscheinlich hat er Zuhause bei Weib und Kind nicht viel zu sagen). COCKNEY REJECTS brachten den Saal sofort zum Toben, u.a. mit solchen Hymnen wie "I‘m Not a Fool", "The Greatest Cockney Rip Off", "On The Streets Again". Es war ein einziger Pogo-Mop auf der Tanzfläche, der in diesem Fall fast das gesamte Razzle Dazzle - und das ist nicht gerade klein - einnahm. Es waren vielleicht 400 Leute da, die sogar friedlich miteinander feiern konnten, auch wenn sich so hirnamputierte Skrewdriver-T-Shirt-Träger darunter befanden. Ich vermute, daß der eingeschränkte Alkoholkonsum seine positive Wirkung tat, denn es mußten bestimmt einige - wie auch ich armes Erzählerschwein - am nächsten Morgen früh raus. Arbeiterfreundlich, wie alle Bands aus der Arbeiterklasse sein sollten, spielten die REJECTS auch nicht so wahnsinnig lang und gaben nur zwei kurze Zugaben: "Oi! Oi! Oi!" natürlich und "Join The Rejects". Damit war dann um ca. 1 Uhr ein recht gelungener Abend vorbei und wir können in unserer Liste der Legenden wieder eine Band abhaken, die wir niemals erwartet hatten mal live erleben zu können.

Sandra aus Berlin